16. Oktober 2016

Stolpersteine in Neidenstein

Die Initiative zur Verlegung von Stolpersteinen in Neidenstein entstand im Jahr 2008 innerhalb der Projektgruppe „Judentum im Kraichgau“ an der Realschule Waibstadt. In enger Zusammenarbeit mit dem Verein „Jüdisches Kulturerbe im Kraichgau e. V.“ sowie des Heimatvereins Neidenstein erfolgte die Recherche von Opfern des Nationalsozialismus, die in Neidenstein lebten. Am 13. Oktober 2010 fand schließlich die Verlegung der Steine statt.

Stolpersteine – Erinnerung an die ortsansässigen Opfer des Nationalsozialismus

Stolpersteine sind Gedenksteine, welche an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. In Form und Größe entsprechen sie Pflastersteinen. Ein Stolperstein nennt Namen und wichtigste Lebensdaten eines Opfers. Er wird vor dem Haus, in welchem ein Opfer lebte, in den Gehweg eingelassen. Auf diese Weise wird die Erinnerung an Menschen aufrecht erhalten, welche zurzeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden und unsägliches Unrecht erlitten. Diese Initiative geht auf den in Köln lebenden Künstler Gunter Demnig zurück, der die Stolpersteine herstellt und in aller Regel persönlich vor Ort verlegt. Inzwischen gibt es in mehr als 500 Orten Deutschlands Stolpersteine. Für sein Engagement erhielt Gunter Demnig das Bundesverdienstkreuz. Die Finanzierung von Stolpersteinen erfolgt ausschließlich durch Spendengelder, wobei sich Die Kosten pro verlegtem Stein auf 95 € belaufen.

Die Recherche der Opfer in Neidenstein

In Neidenstein war eine der größten und traditionsreichsten jüdischen Landgemeinden Badens ansässig. Zeitweilig war in Neidenstein jeder dritte Einwohner jüdischen Glaubens. Die Höchstzahl jüdischer Einwohner wurde im Jahr 1842 mit 281 Personen erreicht. Noch 1933 – zu Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten – lebten in Neidenstein 63 Juden, so dass sich ihr Anteil an der gesamten Einwohnerschaft auf 7,6 % belief. Entsprechend hoch war in Neidenstein auch die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus.

In einem ertsten Schritt konnten die letzten Wohnadressen von 19 jüdischen Opfern des Nationalsozialismus erforscht werden. Außerdem wurde das Schicksal einer Person recherchiert, welche nicht jüdischen Glaubens war, die aber im Rahmen des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten ermordet wurde.
Zustimmung des Neidensteiner Gemeinderats zur Verlegung der Stolpersteine

Stolpersteine werden in aller Regel in öffentlichem Raum verlegt – in den meisten Fällen auf dem Gehweg vor dem Haus eines Opfers. Daher ist die Zustimmung des politischen Entscheidungsträgers erforderlich. Schüler der Projektgruppe „Judentum im Kraichgau“ erhielten die Gelegenheit, im Neidensteiner Gemeinderat ihre Initiative zu präsentieren und zu erläutern. Im April 2010 stimmte schließlich der Gemeinderat mit überwältigender Mehrheit – bei nur einer Gegenstimme – zu. Die Zustimmung war allerdings mit einer einschränkenden Bedingung verknüpft: Stolpersteine konnten nur vor Häusern verlegt werden, deren Bewohner sich damit einverständen erklärten.

Befragung der Hausbewohner

Die recherchierten zwanzig Opfer des Nationalsozialismus verteilen sich in Neidenstein auf acht Häuser. Die von der Projektgruppe „Judentum im Kraichgau“ durchgeführte Befragung der Bewohner führte bei vier Adressen zu einer Zustimmung zur Verlegung der Stolpersteine, bei vier weiteren Häusern zu einer Ablehnung. Für die Hälfte der recherchierten Opfer konnte daher kein Gedenkstein angebracht werden.

Die Verlegung der Stolpersteine

Die Verlegung der Stolpersteine nahm Gunter Demnig am Morgen des 13. Oktober 2010 unter reger Teilnahme der interessierten Öffentlichkeit vor. Neidenstein war damit die 597. Gemeinde, welche mit Stolpersteinen den Opfern des Nationalsozialismus ein Denkmal setzt. Klaus Sauer, der Schulleiter der Realschule Waibstadt, würdigte in seiner Ansprache das Engagement und die akribischen Recherchen der beteiligten Schüler und dankte den betreuenden Lehrern und außerschulischen Partnern. Bürgermeister Peter Reichert äußerte in seiner Rede die Hoffnung, dass vielleicht „.. auch die Stolpersteine für die anderen Opfer irgendwann im Ort ihren Platz finden …“ werden.

Die Opfer

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ (Gunter Demnig).
In Neidenstein wird die Erinnnerung an zehn ehemalige Mitbürger durch Stolpersteine wach gehalten:

Herrmann, Siegfried 22.10.1940: Deportation nach Gurs
14.08.1942: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Bergstr. 32
Herrmann, Irma 22.10.1940: Deportation nach Gurs
14.08.1942: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Bergstr. 32
Jakob, Wolf Deportation nach Theresienstadt
Deportation nach Treblinka
Ermordet in Treblinka
Bergstr. 32
Dührenheimer, Alfred 22.10.1940: Deportation nach Gurs
20.01.1941: Gestorben in Gurs
Bahnhofstr. 31
Dührenheimer, Mathilde 22.10.1940: Deportation nach Gurs
Flucht nach USA
28.09.1965: Gestorben in New York
Bahnhofstr. 31
Mayer, Alex 22.10.1940: Deportation nach Gurs
10.08.1942: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Bahnhofstr. 59
Mayer, Jenny 22.10.1940: Deportation nach Gurs
10.08.1942: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Bahnhofstr. 59
Mayer, Lehmann 22.10.1940: Deportation nach Gurs
02.04.1941: Gestorben in Gurs
Bahnhofstr. 59
Jakob, Hermann 22.10.1940: Deportation nach Gurs
14.08.1942: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Daisbacher Str. 23
Jakob, Betty 22.10.1940: Deportation nach Gurs
14.08.1942: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Daisbacher Str. 23
Für bislang zehn weitere Opfer nationalsozialistischer Verfolgung konnten die Adressen recherchiert werden. Gedenksteine konnten nicht verlegt werden, weil die derzeitigen Hausbewohner keine Zustimmung zu dieser Form der Erinnerung gaben. Mit Friedrich Georg („Fritz“) Böbel betrifft dies auch die einzige bisher recherchierte nichtjüdische Person. Der 16-jährige Junge litt in Folge eines Unfalls unter Epilepsie und fiel den nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen – der so genannten „T4-Aktion“ – zum Opfer. Er wurde am 23. Oktober 1940 in Grafeneck ermordet.
Böbel, Georg Friedrich 23.10.1940: Deportation nach Grafeneck
Ermordet in Grafeneck
Bahnhofstr. 57
Jakob, Seligmann 22.10.1940: Deportation nach Gurs
Deportation nach Rivesaltes
23.12.1941: Gestorben in Rivesaltes
Bahnhofstr. 1
Jakob, Meta 22.10.1940: Deportation nach Gurs
Flucht
Gestorben in Israel
Bahnhofstr. 1
Jakob, Ruth 22.10.1940: Deportation nach Gurs
Flucht
Gestorben 1973 in New York
Bahnhofstr. 1
Mayer, Ludwig 22.10.1940: Deportation nach Gurs
23.08.1943: Gestorben in Alboussière
Eschelbronner Str. 4
Mayer, Berta 22.10.1940: Deportation nach Gurs
07.03.1944: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Eschelbronner Str. 4
Löbmann, Gutta 22.10.1940: Deportation nach Gurs
30.05.1944: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Kirchgraben 12
Würzweiler, Julius 22.10.1940: Deportation nach Gurs
12.08.1942: Deportation nach Auschwitz
Ermordet in Auschwitz
Kirchgraben 3
Würzweiler, Emmy 22.10.1940: Deportation nach Gurs
29.03.1942: Gestorben in Gurs
Kirchgraben 3
Würzweiler, Kurt 1936: Flucht in Niederlande
1941: Deportation nach Mauthausen
Ermordet in Mauthausen
Kirchgraben 3